Geschichte der Familie Lichtenstern

<p>Rodzina Heidi Fishman – Margret Lichtenstern z synem Robbiem i córką Ruth</p>

Rodzina Heidi Fishman – Margret Lichtenstern z synem Robbiem i córką Ruth

<p>Matka Heidi – Ruth „Tutti” Lichtenstern<br />
Fishman, 1944</p>

Matka Heidi – Ruth „Tutti” Lichtenstern
Fishman, 1944

<p>Wujek Heidi – Robbie<br />
Lichtenstern, 1944</p>

Wujek Heidi – Robbie
Lichtenstern, 1944

<p>Dokument – obóz przejściowy w Westerborku, Holandia 1943</p>

Dokument – obóz przejściowy w Westerborku, Holandia 1943

<p>Duis aliquam erat in consequat maximus.</p>

Duis aliquam erat in consequat maximus.

<p>Paragwajski paszport rodziny Lichtenstern</p>

Paragwajski paszport rodziny Lichtenstern

<p>(Pl) Heinz Lichtenstern</p>

(Pl) Heinz Lichtenstern

<p>Morbi porta massa sed finibus gravida.</p>

Morbi porta massa sed finibus gravida.

<p>(Pl) Dokument nr 65523623#1<br />
Archiwum ITS Arolsen</p>

(Pl) Dokument nr 65523623#1
Archiwum ITS Arolsen

<p>(Pl) Dokument nr 65523603#1<br />
Archiwum ITS Arolsen</p>

(Pl) Dokument nr 65523603#1
Archiwum ITS Arolsen

Wenn ich als Jugendliche meine Mutter, Ruth „Tutti“ Lichtenstern Fishman fragte, wie sie mit ihrer Familie den Holocaust überlebt hatte, antwortete sie immer: „Wir hatten einen gefälschten paraguayischen Reisepass“. Ihre sachliche Feststellung weckte bei mir keine Fragen, bis ich mit dem Erforschen und Aufschreiben der Geschichte meiner Mutter begann, die ich im Buch Tutti’s Promise erhalten habe. Plötzlich hatten meine Fragen kein Ende: Wer hat euren Pass gefälscht? Wann und auf welche Weise hat dein Vater ihn besorgt? Hat er dafür gezahlt? Wenn ja – wie viel? Wie viele Vermittler waren notwendig, damit der Pass ihn erreichen konnte?

Im Jahr 1936 suchte mein Großvater, Heinz Lichtenstern, Zuflucht vor dem Antisemitismus Hitlers und der Nazis und zog mit seiner Familie aus Köln in Deutschland nach Amsterdam in den Niederlanden um. Nach dem Angriff der Deutschen gegen die Niederlande im Mai 1940 änderte sich aber das Schicksal der dortigen Juden für immer. Als Metallhändler hatte mein Großvater Bekannte in der ganzen Welt. Ich bin sicher, dass er bei jedem angefragt hatte, von dem er Hilfe erwarten konnte. Eine gewisse Zeit nach der Invasion übergab er sein ganzes Geld seinem Freund, Egbert de Jong – dem niederländischen Minister, der die Aufsicht über Nichteisenmetalle ausübte. Er bat ihn, das Geld bis zum Kriegsende aufzubewahren. Bevor Heinz Köln verließ, hatten ihm die Nazis die Staatsbürgerschaft aberkannt. Die Deutschen hatten auch eine hohe Reichsfluchtsteuer eingeführt; daher befürchtete mein Großvater – mit Recht, wie sich später erwies –, dass einer der nächsten Schritte die Übernahme der Bankkonten von den niederländischen Juden sein würde. Er empfahl de Jong, das Geld für das Retten unserer Familie zu verwenden, sofern sich solch eine Möglichkeit ergeben würde. Ich glaube, dass er auch von anderen Juden, die in seinem Unternehmen arbeiteten, Geld sammelte und an de Jong übergab, damit dieser auch ihnen helfen könne.

Im Jahr 1943 wurde seine Familie in ein Übergangslager im niederländischen Westerbork eingewiesen. Zur Familie gehörten meine Großeltern Heinz und Margret Lichtenstern, meine Mutter, die damals 8 Jahre alt war, und ihr 5-jähriger Bruder Robbie. Alle vier Großeltern meiner Mutter wurden vier Monate früher im Lager interniert. Nachdem sie einen Monat in den Baracken in Westerbork verbracht hatten, wurden meine Mutter und ihre Nächsten (die Eltern und der Bruder) zurück nach Amsterdam gelassen. Am Anfang fand ich das merkwürdig, aber nach eingehender Untersuchung dieser Sache entdeckte ich, dass mein Großvater eine Kernrolle bei der Umwandlung des Übergangslagers in ein Arbeitslager – eine Sortieranlage für Altmetalle – spielte. Hunderte von jüdischen Gefangenen, die zum Sortieren von Altmetallen gezwungen wurden, konnten in den Niederlanden länger bleiben und somit die Transporte in den Osten vermeiden, die – wie allgemein bekannt war – den Tod bedeuteten.

Bei meinen Forschungen entdeckte ich, dass „Heinz Lichtenstern“ auf vielen Dokumenten zu sehen war, die zwischen den Büros von Adolf Eichmann und Albert Speer versendet wurden. Als Minister für Rüstung und Munition brauchte Speer Metall. Eichmann strebte es an, möglichst viele Juden in Vernichtungslagern umzubringen. Sie stritten darum, was sie mit meinem Großvater tun sollten. Auf einen vom Büro von Eichmann erlassenen Befehl wurde die Familie erneut im Februar 1944 verhaftet und wieder mit einem Transport nach Westerbork geschickt. Diesmal wurden sie in den „Baracken für Privilegierte“ untergebracht. Nach der Ankunft freuten sie sich, entdeckt zu haben, dass sich die Großeltern der Mutter weiterhin im Lager aufhielten; zehn Tage später wurden aber alle vier nach Theresienstadt in der Tschechoslovakei geschickt.

Inzwischen nutzte de Jong das ihm von meinem Großvater anvertraute Geld dafür, Dokumente zu besorgen. Im Jahr 1943 oder 1944 bekam mein Großvater den Reisepass von Paraguay. Dieses lebensrettende Dokument enthielt die Vornamen und Nachnamen des Großvaters, der Großmutter, der Mutter und des Onkels. Der Reisepass mit der Nummer 543/43 hatte das Ausstellungsdatum: den 30. Dezember 1942. Das Datum wurde wahrscheinlich gefälscht, wie das ganze Dokument. Es wurde in Bern in der Schweiz ausgestellt. Meine Mutter erzählte mir von 20-30 Reisepässen, die aus derselben Quelle stammten: sie wurden mit der Post nach Amsterdam geschickt, die meisten wurden aber von den Zensoren abgefangen. Nur dieser eine Exemplar erreichte den Empfänger. Meine Mutter dachte, dass diese Sammlung von Reisepässen nur für ihre Familie bestimmt war und aus mehreren Kopien von demselben Dokument bestand, die mit der Hoffnung geschickt wurden, dass eine davon das Ziel erreicht. Ich vermute jedoch, dass deren Empfänger insgesamt 20-30 verschiedene Familien sein sollten; doch die meisten Dokumente wurden aber – wie früher schon erwähnt – übernommen. Freunde von meinen Großeltern, Moses und Gertrud Hanemann, erhielten einen Reisepass (#530/43), ähnlich wie Caelilie Calvary (#493/43), eine Angehörige des Eigentümers der Handelsfirma, bei der mein Großvater arbeitete.

Dem für die Familie Lichtenstern ausgestellten Reisepass wurde auch ein notarieller Brief mit dem Datum 16. November 1943 beigefügt, der von Ignaz Herzfeld, einem Jurist aus Basel in der Schweiz unterzeichnet wurde. Ich nehme an, dass der Reisepass aus Bern nach Basel von einer mit der Ładoś-Gruppe verbundenen Person geliefert wurde. Ich weiß aber nicht, auf welche Weise er dann zu Egbert de Jong und Heinz Lichtenstern gelangt hat.

Die Lichtenstern-Familie blieb in Westerbork bis zum 4. September 1944, als sie in einem Güterwagen nach Theresienstadt geschickt wurden. Das Leben in diesem Lager, bekannt auch unter dem Namen Terezín, war viel schwieriger als in Westerbork. Dort herrschten schwierigere Bedingungen, es fehlte an Essen, Krankheiten verbreiteten sich. Gegen Ende September 1944 begannen die Deutschen die Auflösung von Theresienstadt. Innerhalb eines Monats wurden nach Auschwitz elf Transporte mit ca. 18.400 Männern, Frauen und Kindern geschickt. Mindestens 16.365 von ihnen wurden ermordet.

Der erste Transport trug den Namen „Ek”. Die jüdische Selbstverwaltung im Lager machte eine Mitteilung, in der angekündigt wurde, dass der Transport 2500 Männer im Alter von 16 bis 55 Jahren umfassen wird; sie sollten in das Reich gelangen und dort einen Arbeitslager bauen. Das wirkliche Reiseziel war aber Auschwitz. Die Mutter erzählte, dass der Vater zu einem Transport zugewiesen wurde, der am nächsten Tag abgehen sollte. Er kam in die Baracke, wo sie mit meinem Bruder und ihrer Mutter wohnte, um sich zu verabschieden. Sie sagte, sie hätte ihn früher nie weinen gesehen. Er legte sich auf ihre Pritsche, nahm sie in den Arm und brach in Tränen aus. Er wusste, dass er in den Tod geschickt wird. Es bedeutete, dass er auch nichts mehr machen konnte, um seine Nächsten zu schützen. Er verstand, dass sie einem der nächsten Transporte angeschlossen werden. Ich kann mir nur vorstellen, was meine Mutter im Alter von neun Jahren fühlte, wenn ihr Vater in Tränen ausbrach, indem er sie mit allen Kräften an sich drückte.

Am nächsten Morgen meldete er sich am Transportplatz zusammen mit einer großen Menge von anderen Männern, die dasselbe Schicksal erwartete. Jemand, vielleicht ein Bekannter, wusste, dass mein Großvater einen paraguayischen Reisepass hatte. Wer immer es war – wohl ein anderer Jude, der um sein Leben auch befürchtete – riet meinem Großvater dazu, das gefälschte Dokument dem SS-Mann zu zeigen. Mein Großvater zweifelte sicherlich daran, dass das Dokument helfen kann. Es hat ihn doch vor der Deportation nach Theresienstadt nicht geschützt. Er musste viel Mut in sich finden, um näher zu kommen und den Reisepass zu zeigen, weil ihm für das Treten aus der Reihe eine Verprügelung oder sofortige Erschießung drohte. Es war der entscheidende Augenblick. Der Deutsche sah sich den in Bern ausgestellten gefälschten paraguayischen Reisepass an und strich Heinz Lichtenstern aus der Liste des „Ek”-Transports aus. Dem Großvater wurde ein dünnes rosafarbiges Maschinenpapierblatt eingereicht, auf dem die Aufschrift ausgeschieden, sein Name, Lagernummer und Geburtsdatum zu sehen waren. Ausgeschieden bedeutet „entlassen“. Laut Angaben aus der Webseite des Instituts Yad Vashem erreichten mit dem „Ek”-Transport Auschwitz nicht 2500 sondern 2498 Gefangene. 2016 Männer wurden gleich nach der Ankunft vergast. Ich weiß nicht, wie viele von den übrigen 482 Männern letztendlich überlebten.

Ohne diesen Reisepass wäre mein Großvater höchstwahrscheinlich in Auschwitz ermordet worden. Alles weist darauf hin, dass ein ähnliches Schicksal den Rest der Familie getroffen hätte, die jedoch Glück hatte, denn die meisten von ihnen zusammen das Kriegsende miterlebten. Leider trafen die matrilateralen Großeltern meiner Mutter in den letzten Transport nach Auschwitz und starben in der Gaskammer.

In den nach dem Krieg durch die Alliierten Expeditionsstreitkräfte (Allied Expeditionary Force) ausgestellten Dokumenten wurden die Familienmitglieder als „Staatenlose“ bezeichnet, was bedeutete, dass sie in ihr Haus in Amsterdam nicht schnell zurückkommen – wenn es ihnen überhaupt gelingt. Die Geschichte des paraguayischen Reisepasses hat aber ihre Fortsetzung. Gleich nach dem Krieg war es für die staatenlosen Juden sehr schwierig, in die Niederlande zurückzukommen. Die Niederländer waren der Meinung, dass sie genug von den Deutschen gelitten hatten. Sie wollten keine jüdischen Flüchtlinge bei sich – insbesondere die im Lande verbleibenden Staatenlosen, von denen sie meinten, dass sie zu einer Last für die Gesellschaft werden können. Mein Großvater hatte aber einen gefälschten Reisepass – jemand strich also daraus das Wort „Staatenloser“ aus und ersetzte es mit dem Wort „Paraguay“, wodurch meine Mutter in knapp zwei Monaten nach der Befreiung nach Amsterdam zurückkommen konnte. Die Niederländer neigten mehr dazu, nach Amsterdam eine Familie von Paraguayern als von europäischen Juden einzulassen, weil sie annahmen, dass diese Personen in der Zukunft nach Südamerika zurückkommen wollen.

Der Reisepass war für die Familie zum dritten Mal behilflich, als nach der Rückkehr nach Amsterdam mein Großvater zur Arbeit zurückkehrte, um die Familie zu unterhalten. Er beschäftigte sich damit, womit er sich am besten auskannte, also mit dem internationalen Handel. Es war mit Auslandsreisen verbunden, für die ein Reisepass notwendig war. Da er nicht die Hände in den Schoß legen und mehrere Monate lang auf die Ausstellung eines niederländischen Reisepasses warten konnte – er musste doch seine Ehefrau, zwei Kinder und seine Eltern, die den Aufenthalt in den Lagern überlebt hatten, unterhalten – reiste er durch Europa mindestens zwei Jahre lang mit demselben paraguayischen Reisepass, der ihnen das Leben gerettet hatte. Jedes Zentimeter dieses Dokuments ist mit Einreise- und Ausreisestempeln bedeckt.

Ich denke oft über diesen Reisepass nach, wie auch darüber, wie er dreimal der Familie meiner Mutter half: er rettete sie vor den Vernichtungslagern, reduzierte die Zeit der Deportation in den Lagern für die Umsiedler und schließlich half meinem Großvater, für das Leben zu verdienen. Obwohl manche meiner Fragen unbeantwortet bleiben, ist eines sicher: Aleksander Ładoś und seine Mitarbeiter, die diese kühne Operation durchgeführt hatten, waren Helden.

Heidi Fishman, M.A., Ed.D. (Magister der humanistischen Wissenschaften, Doktor der Pädagogik)